Donnerstag, 26. Mai 2016

Lesetipp: Vom Ende der Einsamkeit





Benedict Wells


Roman

Diogenes



Der Roman erzählt eine fiktive Familiengeschichte.

Liz, Martin und Jules erleben zusammen mit ihren Eltern eine behütete und glückliche Kindheit. Anfang 1984 verreist das Ehepaar Moreau für ein Wochenende. Die damals elf-, vierzehn- und fünfzehnjährigen Kinder bleiben mit ihrer Tante zu Hause. Am Sonntagabend albern sie herum, necken einander und spielen das Brettspiel „Malefiz“.

„Etwa zur gleichen Zeit stiegen meine Eltern in ihren gemieteten Renault, um unsere Grossmutter in Berdillac zu besuchen. Währenddessen setzte sich eine junge Anwältin in ihren Toyota. Sie war in Montpellier zu einem Abendessen verabredet und wollte pünktlich dort sein. Ihr Wagen brach auf der nassen Fahrbahn aus und geriet auf die Gegenspur, wo er mit dem Renault meiner Eltern zusammenstiess. Zwei Menschen waren sofort tot. Die junge Anwältin überlebte nur knapp.“

Die Geschwister sind mit einem Schlag Waisen und nichts ist mehr, wie es früher war. Statt aufgehoben in ihrer Familie müssen sie nun in einem Internat leben. Die Hauptfigur Jules schildert die erste Nacht an diesem neuen Ort. „Ich gehe mit dem Koffer den kahlen, mit Linoleum ausgelegten Gang entlang, der nach Essig riecht, an der Seite des Erziehers…………Als ich in meinem neuen Bett liege, denke ich an meine Eltern und an meine Geschwister, die in der Nähe sind und trotzdem ganz weit weg, und ich weine nicht, nicht eine Sekunde.“

Die Zeit im Internat wird für alle sehr prägend. Die Kinder sehen sich nicht mehr häufig, alle müssen einen eigenen Weg finden. Liz, die wilde junge Frau, wird ruhelos und suchtanfällig. Sie führt ein chaotisches Leben und ist unfähig, sich auf eine feste Beziehung einzulassen. Martin verkraftet die Situation am Besten. Viele Jahre später wird er für seinen jüngeren Bruder Jules eine wichtige Stütze. Jules war früher ein aufgeweckter und mutiger Draufgänger. Im Internat wird er nach und nach zum Aussenseiter. Er ist verletzlich und zieht sich immer mehr zurück. Er kämpft sehr, um den Verlust der Eltern zu überwinden. Nach Wochen wird ein rothaariges Mädchen zu seiner Vertrauten. Aber auch Alva hat etwas Schlimmes erlebt. Nach der Schule verlieren sich Jules und Alva aus den Augen. Erst lange Zeit später findet Jules den Mut, nach Alva zu suchen und sein Leben nimmt eine neue Wendung.

Der in München lebende deutsche Autor Benedict Wells legt mit „Vom Ende der Einsamkeit“ bereits seinen vierten Roman vor. Mit seiner klaren und präzisen Sprache gelingt es ihm, eine unaufgeregte, melancholische Stimmung zu erzeugen. Als erst 32-Jähriger hat er bereits ein feines Gespür für die Seelenzustände seiner Protagonisten. In siebenjähriger Arbeit verdichtete er das ursprünglich 800 Seiten umfassende Buch auf 350 Seiten. Der Roman ist mit Tiefe und Leichtigkeit zugleich erzählt und macht trotz der Schwere des Themas Mut und Hoffnung.

Eine Randbemerkung zum Schluss: Die Mutter von Benedict Wells ist in Luzern aufgewachsen. Benedict verbrachte mit seiner Familie oft die Ferien im Eigenthal. Für den jungen Autor war darum klar, dass das kleine Dorf am Fuss des Pilatus der Schauplatz für den Teil des Romans ist, der in den Bergen spielt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen